Glutenfreie Produkte findet man mittlerweile in beinahe jedem Supermarkt. Schon lange nicht mehr werden diese Produkte nur von den Personen gekauft, die an einer Unverträglichkeit leiden. Eine gängige Meinung ist, dass die weizen- und glutenfreie Ernährung zu einer gesünderen Lebensweise verhilft. Aber stimmt das? Welche Auswirkungen hat die Popularität der glutenfreien Ernährung auf Zöliakie-Betroffene? Und was genau ist eigentlich Zöliakie?
Bianca Maurer von der Deutschen Zöliakie-Gesellschaft e.V. (DZG) hat diese und andere Fragen beantwortet:
Was ist Zöliakie?
Zöliakie ist eine chronische, autoimmunologisch bedingte Erkrankung des Dünndarmes, die auf einer lebenslangen Unverträglichkeit gegenüber Gluten beruht. Das Klebereiweiß Gluten kommt in den Getreidearten Weizen, Dinkel, Roggen und Gerste vor, sowie in den alten Weizensorten Einkorn, Emmer und Kamut. Die über 800.000 Zöliakiebetroffenen in Deutschland müssen diese Getreidesorten ihr Leben lang strikt meiden, denn die glutenfreie Ernährung ist die einzige mögliche Therapie für ein beschwerdefreies Leben.
Welche Symptome treten auf?
Die klassischen Symptome der Zöliakie sind Durchfall und Bauchschmerzen. Doch es gibt zahlreiche weitere Symptome, die durch Mangelversorgung des Körpers auftreten können. Kaum zwei Krankheitsfälle sind identisch. Eisenmangel, Wesensveränderungen wie Unzufriedenheit oder Weinerlichkeit sowie stagnierendes Wachstum sind typische Anzeichen für Zöliakie im Kindesalter. In späteren Jahren können auch Osteoporose, Schlaflosigkeit, Müdigkeit, Depressionen oder gar Unfruchtbarkeit auftreten. Die Symptome können sich auch im Verlauf einer Krankheitsgeschichte verändern. Sie müssen zudem nicht vollständig oder gleichzeitig auftreten. Durch die zahlreichen Möglichkeiten der Ausprägung können Ärzte die Krankheit häufig nicht eindeutig zuordnen. Die Diagnose einer Zöliakie kann daher mehrere Jahre dauern und nur durch einen Bluttest und eine Dünndarmbiopsie eindeutig gestellt werden. Vor allem Kinder, die eines oder mehrere der genannten Symptome aufweisen, sollten unbedingt auf Zöliakie getestet werden.
Wie wird Zöliakie diagnostiziert?
Die Diagnose wird vom Facharzt anhand eines Bluttests in Kombination mit einer Dünndarmbiopsie gestellt. Der Bluttest auf die Antikörper Transglutaminase, Endomysium und Gliadin gibt den ersten wichtigen Hinweis auf eine Zöliakie. Die endgültige Absicherung der Diagnose erfolgt durch eine Dünndarmbiopsie. Die heute übliche endoskopische Dünndarmbiopsie ist ungefährlich und dauert nicht länger als 10-15 Minuten. Dabei wird eine Kamerasonde über Mund, Speiseröhre und Magen in den Dünndarm geschoben. Mehrere Gewebeproben werden entnommen und anschließend mikroskopisch untersucht. Der Antikörpertest alleine kann eine Dünndarmbiopsie nicht vollständig ersetzen. Eine gesicherte Diagnose unter glutenhaltiger Kost ist notwendig, denn im Falle einer Zöliakie ist eine strikte glutenfreie Ernährung die einzige Therapie. Dies ist gerade für die gesunde und normale Entwicklung im Kindes- und Jugendalter sehr wichtig.
Wie wird Zöliakie behandelt?
Gegen Zöliakie gibt es keine Medikamente. Die einzige Therapie ist eine lebenslange, strenge glutenfreie Ernährung. Nur so kann sich die Dünndarmschleimhaut regenerieren und eine normale Nährstoffaufnahme gewährleisten. In den meisten Fällen tritt bereits wenige Wochen nach der Ernährungsumstellung eine Besserung ein und die Krankheitssymptome verschwinden. Schon die Aufnahme kleinster Mengen an Gluten kann erneut zu Entzündungen und Beschwerden führen.
Warum ernähren sich auch Personen glutenfrei, die nicht an Zöliakie erkrankt sind?
Neben der Zöliakie gibt es noch weitere Erkrankungen, bei denen eine glutenfreie bzw. weizenfreie Ernährung nötig ist – die Weizenallergie und die Weizensensitivität. Auch hier besteht ein medizinischer Grund zu dieser Diät. Jedoch gibt es auch viele Menschen, die ohne medizinische Notwendigkeit Gluten von ihrem Speiseplan streichen. Glutenfrei zu leben, wird seit Längerem von zahlreichen Prominenten, vor allem in den USA propagiert. Einige Medien haben auch in Deutschland darüber berichtet, was auch hierzulande zu der irrigen Annahme geführt hat, ohne Gluten würde man grundsätzlich gesünder leben.
Inwiefern wirkt sich der Hype um glutenfreie Ernährung für die Zöliakiebetroffenen aus?
Auch wenn der Hype um die glutenfreie Ernährung zu einem stärkeren öffentlichen Fokus und zu einer Vergrößerung der Produktvielfalt führt, sehen wir das als Solidargemeinschaft für Zöliakiebetroffene kritisch. Der Trend, sich ohne medizinische Notwendigkeit glutenfrei zu ernähren, hat zahlreiche Missverständnisse und Nachteile zur Folge. Betroffene, die zwingend auf die glutenfreie Kost angewiesen sind, werden z.T. weniger ernst genommen, wodurch das Kontaminationsrisiko bei der Speisenzubereitung extrem unterschätzt wird. Oft erfahren die Betroffenen in der Gesellschaft weniger Akzeptanz und Unterstützung. Zudem bringt die glutenfreie Ernährung für Gesunde keine Vorteile – weder gesundheitlich noch was das Gewicht angeht, denn die glutenfreien Produkte enthalten in der Regel weniger Ballaststoffe und sind durch das fehlende Klebereiweiß trockener. Um das auszugleichen ist meist der Anteil an Zucker und Fett höher, wodurch einige Personen unter der glutenfreien Ernährung sogar zunehmen.
Die DZG ist eine Solidargemeinschaft, in der Zöliakiebetroffene, Dermatitis herpetiformis Duhring-Betroffene und Menschen mit einer Weizensensitivität Hilfe und Unterstützung im Umgang mit ihrer chronischen Krankheit finden. Auf der veggie & frei von vom 18. bis 20. November 2016 gibt es ein breites Informations- und Produktangebot für Betroffene. Auch die DZG wird am Stand A36 in Halle 9 vor Ort sein.
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