Für einen Menschen, der beim Einkauf primär darauf achtet, dass er Produkte einkauft, die lecker schmecken und im Optimalfall „gut, sauber und fair“ produziert wurden, ist die von Jens gestellte Aufgabe eine Herausforderung.

Ich könnte es mir natürlich wirklich einfach machen und auf den Markt, in den Bioladen oder das Reformhaus marschieren und mich dort mit dem kompletten veganen Produktsortiment eindecken. Aber einfach ist für Weicheier. Ich will die volle Dröhnung. Ich will von Null auf Hundertachtzig, von Flexi zu Veggie. Ich will ausprobieren: Kann ich meinen veganen Wocheneinkauf auch in einem ganz normalen Supermarkt erledigen? Und außerdem hat es der Jens ja auch ausdrücklich verboten…

Der Einkauf beginnt wie immer zu Hause. Und doch ist alles anders. Ich schaue in Kühl- und Vorratsschrank – was ist da, was brauche ich? Das geht eigentlich relativ schnell. Aber Wurst, Eier und Milch will ich ja gar nicht kaufen. Stattdessen wälze ich ein Kochbuch. Was muss ich kaufen, wenn ich mich nicht die ganze Zeit von Pommes aus der Tiefkühltruhe ernähren will?

Die Wahl fällt auf Auberginen Cordon Bleu, Oliven-Ciabatta, Bohnen-Reis-Bratlinge sowie Nudeln mit verschiedensten Soßen. Für den Vegan-Einsteiger nicht schlecht, finde ich.

Achso, das Putzmittel ist auch leer. Und klares Wasser ist zwar schön, aber so ein bisschen Duschgel hat noch niemandem geschadet. Und die Zahnpasta-Tube spuckt auch nur noch mikroskopische Mengen aus.

Los geht’s.

Der Supermarkt macht es mir einfach. Gleich nach der Türe wartet die Obst- und Gemüseauswahl: Auberginen, Zucchini, Tomaten, Gurken, Champignons, Salat, Zwiebeln daneben Pfirsiche, Bananen, Zitronen und Melonen – alles da, alles gut. Und hey, als ob es nur auf mich warten würde: ein Kühlregal voller vegetarischer und veganer Lebensmittel – Tofu, Seitan, verschiedene Käse. Vorbildlich markiert, sodass auch Veggie-Neulinge wie ich sich leicht zurechtfinden.

Der Einkauf läuft. Das ist ja wirklich einfacher als gedacht. Ich shoppe mich in einen Rausch. Es landen jetzt auch Produkte im Einkaufswagen, die eigentlich gar nicht auf meiner Liste standen. Zum Beispiel Salami – ohne Fleisch aber dafür aus Weizen hergestellt. Direkt daneben: vegane Landjäger aus rein pflanzlichen Zutaten. Ich bin wirklich gespannt. Einziger Haken: Der vegane Käse ist leer. Ich nehme erstmals Kontakt mit einem Supermarktmitarbeiter auf, die Hilfe folgt auf dem Fuße. Es wird nicht der letzte Kontakt dieses Tages bleiben.

Ich ziehe weiter meine Runde durch den Markt. Vor dem Nudelregal bleibe ich stehen. „Solange ich jetzt keine Eierspätzle kaufe, ist das alles kein Problem“, höre ich mich zu mir sagen. Denkste. Die erste Nudelpackung, die ich in Händen halte, hat auf der Zutatenliste Hartweizengrieß und Wasser stehen. „Yessss! Das läuft!“ Doch dann lese ich weiter: „Kann Spuren von Eiern enthalten, wenn das Produkt in dem mit dem Buchstaben A gekennzeichneten Werk hergestellt wurde.“ Ich drehe die Packung und suche verzweifelt nach dem Aufdruck – natürlich: A.

Kein Problem: Es gibt ja nicht nur Farfalle, daneben stehen auch Fusilli, Penne Rigate, Spaghetti, … Nachdem ich schließlich gefühlt 243 Packungen in der Hand halte, habe ich den Eindruck, vor meinen Augen nur noch A zu sehen. Soll ich großzügig darüber hinweg sehen und einfach zugreifen? Nein. Ich habe die Challenge angenommen – also ziehe ich das jetzt durch.

Ich wechsle zum nächsten Hersteller. Das Problem hier: Die komplette Packungsbeschriftung ist nur in italienischer Sprache. Hätte ich mal in der Schule die dritte Fremdsprache im Nachmittagsunterricht dem Schwimmbad vorgezogen und nicht umgekehrt! Ich spiele kurzzeitig mit dem Gedanken, mich an einen Marktmitarbeiter zu wenden. Diesen Schritt hebe ich mir dann aber wohlweislich für später auf. Schließlich werde ich bei den No-Name-Produkten fündig. 100 Prozent vegane Nudeln: check.

Weiter geht es zu den Milchprodukten. Die Kühlregalreihen scheinen endlos. Doch ganz am Ende lächeln mich die bereits bekannten „vegetarisch/vegan“-Schildchen an. Und schon wandert der erste vegane Joghurt in den Einkaufswagen.

Ich gehe die Lebensmittelliste durch. Sieht gut aus. Jetzt also zur nächsten Herausforderung – vegane Haushaltswaren. Die Produkte im Putzmittelregal leuchten in allen Farben des Regenbogens. Strategie: In die Hand nehmen, Rückseite studieren – und in den meisten Fällen wieder ins Regal zurückstellen. Dann, endlich: „100% vegane Rezepturen“. Ich schlage zu.

Um die Ecke türmen sich Shampoos, Cremes, Seifen. Im hinteren Eck dann die großflächige Beschriftung: Naturkosmetik. Duschgel kann ich jetzt von meiner Liste streichen.

Das lief so problemlos, da ist die fehlende Zahnpasta ein Kinderspiel.

Pah – falsch gedacht! Statt „vegan“ steht auf allen Schildern nur „billig“.

Ich wähle eine altbekannte Problemlösungsstrategie: Packung in die Hand nehmen, Rückseite studieren. Nirgendwo entdecke ich einen Hinweis. Ich ziehe meinen Joker und frage eine Marktmitarbeiterin, die sich zwischen Toilettenpapier und Taschentüchern versteckt, um Rat. Ich habe den Eindruck, dass ihr kurzzeitig die Gesichtszüge entgleisen. Als dann ein deutlich vernehmbares „Puuhh… Pffff…“ folgt bin ich mir sicher, dass der Eindruck mich nicht täuscht. Sie greift wahllos verschiedene Packungen und kopiert meine Suchmethode: Packung in die Hand nehmen, Rückseite studieren, …

Als ich sie darauf hinweise, dass ich dies bereits getan hätte, verändert sich ihre Wortwahl nur marginal: „Pffff… Puuhh…“. Die Mine hingegen bleibt stoisch finster. Ich stelle die ultimative Frage: „Gibt es Kollegen im Haus, die sich vielleicht damit auskennen?“ Zufällig eilt Supermarktmitarbeiter Nummer eins an uns vorbei. Am Blitzen seiner Pupillen sehe ich, dass er mich erkennt. Ich meine, kurzzeitig einen Fluchtreflex zu erahnen. Er überwindet ihn: „Sie suchen was Veganes, richtig?“ „Richtig. Zahnpasta. Vegan.“ „Puuhh… Pffff… Hmm… Keine Ahnung.“

Gemeinsam beschließen wir, dass ich auf vegane Zahnpasta vorerst verzichte. Kurz darauf ertönt die Lautsprecherdurchsage: „Alle Mitarbeiter, 157.“ Es ist wahrscheinlich der Code für „Nehmt euch vor dem Typen im blauen Poloshirt in Acht.“

Tatsächlich: Die Kassiererin ist die erste Marktmitarbeiterin, die ich nach einem insgesamt zweistündigen Einkauf wieder zu Gesicht bekomme. Sie mustert mich, zieht aber alle Waren anstandslos über den Scanner. Ich halte mich mit Fragen zurück und meine, ein erleichtertes „Puuhh… Pffff…“ zu hören.

Zum Abschluss dieses Einkaufsmarathons gönne ich mir zu Hause erst einmal ein Bier. Gebraut nach dem Reinheitsgebot – und damit vegan. Wenigstens hier gibt es keine Verwirrungen. Puuhh… Pffff…

– Andreas